Was ist Intimität?

Schon vor vielen Jahren berührte mich das Bild eines nackten Paares mit einem Spruch, der ungefähr besagte, dass es viel einfacher sei, sich voreinander körperlich nackt auszuziehen als sich emotional nackt zu machen. Ich habe es nie vergessen und erst heute beim Schreiben dieses Artikels wurde mir klar, dass hier bereits zwei Arten von Intimität gegenübergestellt wurden.

Das Wort Intimität verbinden viele Menschen automatisch mit Sexualität. Auch mir ging es lange so. Kam man sich sexuell näher, wurde man eben intim miteinander. Dabei ist dies nur eine eingeschränkte Sichtweise auf einen sehr viel umfassenderen Begriff, der verschiedene Seins- und Erlebnisebenen umfasst. Auf all diesen Ebenen können wir eine tiefe Verbindung und Nähe miteinander aufbauen. Viele von uns sehnen sich nach den Gefühlen, die damit einhergehen. Und doch haben wir oft keine Klarheit darüber, wie sich dies erreichen lässt. Uns fehlt etwas, ohne dass wir ausdrücken können, was es wäre. Laut Terrence Real sehen die klassischen Geschlechterrollen des Patriarchats Intimität auch gar nicht vor. Diese streben Stabilität, Produktivität, Wachstum, Konsum und Sicherheit an und sind geprägt von Win-Loose (Gewinnen oder Verlieren) und Hierarchiedenken. Wahre Intimität in ihrer ganzen Vielfalt hingegen braucht Augenhöhe. Für diese neue Form des Miteinanders in Partnerschaft fehlt es uns in der Gesellschaft weitestgehend an Vorbildern. Es ist an uns, dieses Neuland gemeinsam zu gestalten und Intimität in all ihren Facetten in unseren Partnerschaften zu leben.

Die 4 Arten der Intimität

Neben der physischen Intimität gibt es nach Clinton Callahan, („Wahre Liebe im Alltag“) die intellektuelle, emotionale und spirituelle Intimität.

Physische Intimität

So wie unsere Gesellschaftsform sich in einer riesigen Transformation befindet, passen auch unsere althergebrachten Beziehungsformen immer weniger zu unseren persönlichen Bedürfnissen. Die bekannte physische, also rein körperliche Intimität erfüllt unser Bedürfnis nach authentischer Nähe und Verbundenheit nicht mehr hinreichend. Slow Sex oder Tantra können Türöffner sein für sehr viel tieferes und ekstatisches Erleben miteinander. Es gibt auf der körperlichen Ebene jedoch noch ganz andere Experimentierfelder, die zu einem tiefen Gefühl von Intimität führen können. Massieren, Tanzen gemeinsam Sport machen – all dies sind bekannte Spielarten. Aber habt ihr Euch schon einmal gegenseitig die Haare gekämmt, die Nägel geschnitten, einander angezogen (statt aus) oder gar versucht, dem Anderen die Zähne zu putzen? Klingt sehr intim, oder? Kann herausfordernd sein, solch ungewohntes Terrain zu betreten. Humor und ganz viel Spiel- sowie Entdeckerfreude sind dabei sehr hilfreich.

Intellektuelle Intimität

Hierzu zählen tiefgründige Gespräche, in denen ihr Euren Partner an eurer Gedankenwelt teilhaben lasst, Erinnerungen austauscht, diskutiert, spielt, Kunst und Kultur gemeinsam erlebt oder dem Anderen davon erzählt, falls er nicht dabei war. Genauso gehört Humor dazu und ja, auch das Witze und Anekdoten erzählen und dann gemeinsam darüber lachen. Beobachtet euch bei Euren Gesprächen, ob ihr versucht, Recht haben zu wollen (also gewinnen wollt). Dies ist nicht das Ziel von intellektueller Intimität. Viel mehr geht es darum zu lernen, auch Eure Unterschiede in Meinungen, Interessen und Sichtweisen zu erkennen und stehen zu lassen.

Emotionale Intimität

Dies ist für viele die herausfordernste Form der Intimität. Es braucht tiefes Vertrauen und das Gefühl von psychologischer Sicherheit, um sich dem Anderen komplett zu öffnen und von den eigenen Gefühlen, Unsicherheiten, Triggern, Wunden, Schwächen zu erzählen. Wir machen uns damit verletzlich, machen unsere Scham sichtbar und unser Nicht-Wissen-Wie. Hier können wir unser größtes Wachstumspotenzial wie einen Schatz heben, für uns, unsere Partnerschaft, unsere Gesellschaft und vor allem auch unsere Kinder. Wir können uns mit ganz viel Mitgefühl für uns selbst und unseren Partner auf den Weg begeben. Brené Braun hat in ihrem wunderbaren Buch „Verletzlichkeit macht stark“ dafür ein „Manifest der Erziehung aus tiefstem Herzen“ verfasst.

Spirituelle Intimität

Hierzu zählen die Momente, in denen ihr zu 100% präsent seid im Miteinander, in eurer eigenen Blase, zu der die Außenwelt keinen Zutritt hat. Häufig ist dies die Voraussetzung für die darauf folgende intellektuelle, emotionale oder physische Intimität. Hier geht es auch darum, nach schwierigen oder disharmonischen Momenten wieder zueinander zu finden, den Frieden miteinander zu genießen und sich darin zu üben, trotz unterschiedlicher Sichtweisen einander zugewandt zu bleiben.

Falls ihr noch nicht vom 4-Minuten-Experiment zum Aufbau von Intimität gehört habt, könnt ihr hier davon lesen. Und vielleicht probiert ihr es einmal aus.

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