Bindungsstile im Erwachsenenalter

Während Bowbly in seiner Theorie für Kinder 4 Bindungstypen unterschied, fanden Hazan und Shaver als Ergebnis ihrer Forschungen bei Erwachsenen in den 80er Jahren 3 unterscheidbare Bindungsstile:

– sichere Bindung

– ängstlich-besorgte Bindung (unsicher)

– vermeidende Bindung (unsicher)

Hazan und Shaver gehen davon aus, dass ungefähr 55% der Menschen dem sicheren Bindungsstil, 20% dem ängstlichen Bindungsstil und 25% dem vermeidenden Bindungsstil zuordenbar sind.

1) Sicherer Bindungsstil

Bin ich als Erwachsener sicher gebunden, kann ich Vertrauen zu meinem Partner entwickeln und es fällt mir leicht, Nähe aufzubauen. Sicher gebundene Menschen habe ein stabiles Selbstwertgefühl und können eigene Bedürfnisse sowie die ihres Partners achten. Sie erfahren sich mit ihren Stärken, können aber auch Schwächen tolerieren und Kritik annehmen. Konflikte gehören für sie zum Leben dazu und sie verfügen über Bewältigungsstrategien. Sicher gebundene Erwachsene haben meist ein positives Bild von ihren Eltern und anderen. Es fällt ihnen leicht, sich in eine Partnerschaft einzubringen und diese aktiv mit zu gestalten. Autonomie und Zugehörigkeit/Sicherheit sind für sie gleichrangige Bedürfnisse, für die ein „sowohl als auch“ gilt.

2) Ängstlich-besorgter Bindungsstil (unsicher)

Ängstlich gebundene Erwachsene haben meist ein eher negatives Selbstbild und tendieren dazu, den Partner durch eine rosarote Brille wahrzunehmen. Sie sind übermäßig darauf bedacht, anderen zu gefallen, fühlen sich unsicher oder ängstlich, wenn die Partnerin abwesend ist, haben das Gefühl, nicht liebenswert zu sein, geben zu viel und sind dann verärgert, wenn dies nicht gewürdigt wird. Sie haben einen großen Wunsch nach Nähe und Verschmelzung, machen sich Sorgen darum, ob der Partner einen genug liebt und können mit dem Gefühl der Zurückweisung schlecht umgehen. Von ihren Eltern haben sie eher ein gemischtes Bild. Menschen mit einem ängstlich-besorgten Bindungsstil können nur schwierig mit Distanz in einer Partnerschaft umgehen. Der Nähe und Verschmelzung zuliebe verdrängen sie häufig ihr Bedürfnis nach Autonomie.

3) Vermeidender Bindungsstil (unsicher)

Erwachsene mit einer vermeidenden Bindung haben eher ein positives Selbstbild, gleichzeitig jedoch ein nicht stark ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Sie sehen andere Menschen, auch ihre eigenen Eltern, eher negativ. Ihre Sehnsucht nach Nähe verdrängen sie ihrer Autonomie zuliebe. Vermeidend gebundene Menschen finden es daher schwierig, sich komplett einzulassen. Unbewusst haben sie Verhaltensstrategien entwickelt, mit denen sie ihren Partner weg stoßen oder die Beziehung sabotieren. Beispielsweise neigen sie dazu, der Partnerin für alles die Schuld zu geben. Sie senden eher zweideutige Signale, um sich nicht klar positionieren zu müssen, weichen der Klarheit aus, behalten Persönliches lieber für sich und ziehen sich im Konflikt zurück, indem sie in ihr Inneres oder tatsächlich aus der Situation fliehen.

Traumatisierende Erfahrungen in Partnerschaften können den Bindungsstil auch im Erwachsenenalter beeinflussen.

Aus einem unsicheren Bindungsstil resultierende partnerschaftliche Dynamiken

Die mit einem unsicheren Bindungsstil einhergehenden destruktiven Dynamiken können eine Partnerschaft sehr stark belasten, bis hin zu On-Off-Dynamiken mit dem selben Partner oder wiederkehrenden Trennungen in aufeinander folgenden Partnerschaften. Oft leiden unsicher gebundene Menschen sehr darunter, dass sie in ihren Beziehungen immer wieder vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Ihr Muster scheint sich stets aufs Neue zu wiederholen.

Persönlich kann ich mich in der Vergangenheit beiden unsicheren Bindungstypen zuordnen. Entweder pendelte ich innerhalb der Partnerschaft stark zwischen Nähewunsch (Zugehörigkeit) und Distanzierung (Autonomie). Oder die eine Partnerschaft war eher von dem unsicher vermeidenden Bindungsstil geprägt und die nächste vom unsicher ängstlichen.

Stefanie Stahl spricht so auch nur von bindungsängstlichen Menschen, wenn Menschen unsicher gebunden sind, ohne diese weiter zu unterteilen und beschreibt ein sehr starkes Pendeln zwischen Nähe und Distanz als ein Merkmal von Bindungsängstlichkeit. Bindungsängstliche Menschen erleben unbewusst ein „entweder oder“ zwischen den Grundbedürfnissen Autonomie und Zugehörigkeit/Sicherheit, was sich in dem von ihr benannten Zick-Zack-Kurs zwischen Nähe und Distanz ausdrückt.

Der sichere Hafen

Dr. Sue Johnson, Begründerin der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT), hat in ihren Forschungen herausgefunden, dass das Konzept des sicheren Hafens nicht nur im Kindesalter gültig ist. Auch als Erwachsene suchen wir unbewusst in unserem Partner nach der sicheren Basis, dem sicheren Hafen. Dies macht evolutionär auch absolut Sinn. Unser Bedürfnis nach einer sicheren emotionalen Bindung ist in uns seit Millionen von Jahren einprogrammiert. Und ganz egal, welcher Bindungsstil uns prägt; unsere basalen Fragen sind doch stets „Bist du da für mich? Bedeute ich dir etwas? Wirst Du kommen, wenn ich dich brauche?“ Diese Fragen liegen unter jeder destruktiven Reaktion, egal ob wir anklagend und fordernd werden oder uns verletzt in uns zurück ziehen und Mauern des Schweigens aufbauen. Abhängig vom Bindungsstil nehmen diese Fragen lediglich andere Ausprägungen an: „Sieh mich. Sei bei mir. Ich brauche dich.“ oder „Ich lasse nicht zu, dass du mich verletzt. Ich entspanne mich und versuche, die Kontrolle zu behalten.“

Für mich ist diese Erkenntnis ein ganz wesentliches Puzzleteil für den Weg aus destruktiven Dynamiken heraus, denen Paare so hilflos gegenüber stehen. Sie macht es ihnen leichter, sich selbst und dem Anderen Verständnis entgegen zu bringen und zuerst einmal anzunehmen, wo man gerade steht.

Wege aus der Abwärtsspirale

Leidet ihr als Paar unter starken Beziehungsproblemen, kann es sinnvoll sein, dass ihr euch bewusst darum bemüht, eure Bindungstypen zu erkennen und den Einfluss auf eure Beziehungsdynamiken zu verstehen. Wie reagiert ihr, wenn Euer Partner euch triggert, in welchen Situationen passiert dies? Wie könnt ihr euch allein oder gemeinsam regulieren, um neue positive Bindungserfahrungen zu machen und eine langfristig sichere Bindung aufzubauen, welche geprägt ist von einer gesunden Balance zwischen Autonomie und Bindung? Wie kann es funktionieren, sich sowohl frei als auch verbunden zu fühlen?

Ein Paar-Coaching kann euch für diesen Weg wertvolle Impulse geben oder auch unterstützend auf eurem Weg begleiten.

Titelbild: Unsplash, Justin Groep