Peter und Linda

In ihrem Buch „Hold me tight“ erzählt Dr. Sue Johnson, Begründerin der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT), die Geschichte von Peter und Linda. Sie sind seit 6 Jahren verheiratet und in letzter Zeit fühlt Peter sich weniger wichtig für Linda. Sie geht in ihrem neuen Job absolut auf. Zudem haben beide weniger Sex miteinander. Auf einer Party macht ein guter Freund Witze darüber, wie lebendig und jung Linda wirke, während Peter zunehmend weniger Haare zu haben scheint. Später beobachtet Peter seine Frau dabei, wie sie sich sehr angeregt mit einem überaus gut aussehenden Mann unterhält, der zudem auch noch wunderschönes, volles Haar hat. In seinem Bauch grummelt es.

Wie geht er mit diesem Grummeln um? Ist er in der Lage, sich selbst zu beruhigen und seiner Frau später zu Hause von diesem für ihn so fragilen Moment, diesem Gefühl in seinem Bauch zu erzählen? Und dies auf eine Art, dass sie sich einfühlen und liebevoll reagieren kann und sie somit beide ihre tiefe Verbindung zueinander wieder spüren können?

Wird er ärgerlich? Lässt er diesen Ärger an seiner Frau aus und macht ihr sofort oder später auf der Heimfahrt eine Szene? Oder lenkt er sich ab, drückt die Wahrnehmung in seinem Bauch weg und holt sich einen Drink?

Die Bindungstheorie

Meist entscheiden wir nicht bewusst, auf welche Art wir reagieren. Unser aktiviertes autonomes Nervensystem sendet über unser Bauchgrummeln ein „Vorsicht, unsicher!“ Und unser bereits in der Kindheit erworbener Bindungsstil prägt unser Reaktionsmuster, mit dem wir darauf reagieren.

Die Bindungstheorie mit 4 Bindungstypen geht zurück auf den englischen Psychiater John Bowlby, der aus seinen Beobachtungen von Kindern schloss, dass Kinder bereits in ihren ersten Lebensjahren Strategien entwickeln, um ihr Bindungsbedürfnis erfüllt zu bekommen. Bindung sei in den ersten Lebensjahren überlebensnotwendig, fand er heraus.  Erfolgt beispielsweise keine oder keine zuverlässig schnelle Reaktion auf das Schreien eines Babys, ist dies für das aktivierte Nervensystem eine lebensgefährliche Situation. Das Baby, das im Notfall nicht selbst flüchten oder kämpfen könnte, ist auf die Verfügbarkeit seiner engsten Bezugspersonen angewiesen. Sonst könnte jederzeit ein Wolf oder Säbelzahntiger erscheinen und das Kind verschleppen. Als Erwachsene wissen wir, dass dies nicht realistisch ist. Unser Reptilienhirn (Stammhirn) jedoch, welches sich bei Gefahr anschaltet, ist 500 Millionen Jahre alt und noch auf dem damaligen Stand. Es ist darauf programmiert, unser Überleben zu sichern.

Frühkindliche Prägung

Von unseren Erfahrungen mit unseren engsten Bezugspersonen in unseren ersten Lebensjahren ist es abhängig, welchen Bindungstyp wir entwickeln. Ich gehe hier nur auf die 3 Bindungstypen ein, die dann auch im Erwachsenenalter als Bindungsstil sichtbar werden.

Sicherer Bindungstyp

Für eine sichere Bindung ist es wichtig, dass Eltern schnell, zuverlässig und angemessen auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren. Sicher gebundene Kinder reagieren in Trennungssituationen von der Bezugsperson mit intensivem Kummer, lassen sich jedoch schnell wieder beruhigen.

Ängstlicher (unsicher-ambivalenter) Bindungstyp

Für ein Baby, das allein in einem Raum zurückgelassen wird, ist dies erschreckend. Was macht ein Baby dann? Nun, das Einzige, was es tun kann, es schreit um Hilfe. Also wimmert das Baby zunächst und wenn keine Reaktion erfolgt, wird das Wimmern lauter. Schließlich wird es zu einem ausgewachsenen Schrei. Kommt dann eine Bezugsperson herein, nimmt das Baby auf den Arm, beruhigt es und setzt es wieder in seine schreckliche Einsamkeit im Zimmer zurück, fängt das Baby wieder an zu schreien.

Wenn sich dieses Muster häufig wiederholt, wird das Vertrauen in die Bezugspersonen unsicher. Das Kind (oder besser dessen autonomes Nervensystem) entwickelt die Verhaltensstrategie: wenn ich mich aufrege, wird jemand kommen und mich lieben. Daraus kann sich ein ängstlicher Bindungsstil entwickeln, in dem das Kind bspw. in Trennungssituationen mit intensivem Kummer reagiert und sich nur sehr schwer beruhigen lässt.

Natürlich ist auch der Verlust von Elternteilen prägend.

(Unsicher-) vermeidender Bindungstyp

Kommt keine der Bezugspersonen zu dem weinenden Kind und das Kind weint und weint, bis es nicht mehr weinen kann, dann gibt es irgendwann erschöpft auf. Wenn man das über viele Nächte hinweg ausdehnt, bildet sich eine andere Verhaltensstrategie heraus: Niemand kommt, also kümmere ich mich um mich selbst, indem ich mich betäube und herunterreguliere, um die Angst nicht mehr zu spüren.

Dies kann der Beginn einer vermeidenden Bindung sein. Aus Angst davor, dass niemand kommt, wenn ich jemanden brauche, kümmere ich mich um mich selbst, wenn ich verzweifelt bin. In Trennungssituationen von der Bezugsperson ist das daran zu erkennen, dass das Kind kaum oder gar nicht mit Kummer reagiert.

Auch, wenn Eltern ihr Kind überbehüten und ihm zu wenig Raum für die Erkundung der Welt inklusive angemessener risikobehafteter Erfahrungen lassen, kann es eine vermeidende Bindung entwickeln.

Das Modell vom Sicheren Hafen

Was ein Kind braucht, um eine sichere Bindung entwickeln zu können, ist im Modell vom sogenannten „Sicheren Hafen“ wunderbar dargestellt. Von dieser sicheren Basis ausgehend kann das Kind sich die Welt erobern und erfahren, dass die Grundbedürfnisse Autonomie und Sicherheit/Geborgenheit gleichwertig sind und jeweils angemessen Raum zur Befriedigung finden.

Teil 2, „Der sichere Hafen in der Partnerschaft“ beleuchtet Bindungsstile im Erwachsenenalter, daraus resultierende Dynamiken und erläutert, warum auch wir Erwachsene unbewusst nach einem sicheren Hafen suchen.

Titelbild: Freepik

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